Grenzenloses Arbeiten: Der Laissez-Faire Führungsstil

von Daniel Hannig

Einführung

Im Rahmen unserer aktuellen Themenreihe gehen wir diese Woche näher auf den laissez-faire Führungsstil ein. “Laissez-faire” bedeutet wörtlich übersetzt „lassen Sie machen“, was als Beschreibung gut auf das Führungsmodell zutrifft. Als Führungsstil gewährt die Variante des laissez-faire den Mitarbeitern die meiste Freiheit, mit einem Höchstmaß an Spielraum für eigene Entscheidungen, aber auch einem gewissen Grad an Risiko im Hinblick auf die Motivation und Produktivität der Mitarbeiter.

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Der folgende Beitrag geht auf die Herkunft und Entwicklung des laissez-faire Führungsstils ein, diskutiert die Anwendung in der heutigen Arbeitswelt und erläutert welche Vorteile und Nachteile das Konzept mit sich bringt.

Kurt Lewin und die klassischen Führungsstile

Der Sozialpsychologe Kurt Lewin (1890-1947) untersuchte 1939 den Unterschied zwischen unterschiedlichen Führungsstilen anhand eines Experimentes: Über einen Zeitraum von fünf Monaten, wurde eine freiwillige Gruppe von Jugendlichen mit unterschiedlichen Aktivitäten betreut (Modellflugzeuge bauen, Wandgestaltung, Theatermasken basteln o.ä.). Diese Aufgaben wurden von drei verschiedenen Gruppenleitern beaufsichtigt, die sich in einem Zeitintervall von sechs Wochen abwechselten und jeweils einen anderen Führungsstil anwendeten: autoritär, kooperativ und laissez-faire. Der Fokus des Experiments lag auf Produktivität, Zufriedenheit, Gruppenzusammenhalt und Effizienz der untersuchten Gruppe. 

Was die verschiedenen Führungsstile kennzeichnet, wurde schon in unserem vorherigen Artikel erläutert, weshalb wir hier nicht mehr im Detail darauf eingehen werden. Was sich allerdings zusammenfassend bezüglich der Ergebnisse des Experiments festhalten lässt, ist Folgendes: Der laissez-faire Führungsstil schnitt von allen Varianten am schlechtesten ab. 

Während bei dem autoritären und demokratischen Führungsstil nicht immer alle Teilnehmer glücklich waren, wurde jedoch zumindest effizient gearbeitet und (unter demokratischer Führung) auch hochwertige Resultate hervorgebracht. Die Gruppe, die unter dem laissez-faire Führungsstil arbeitete, leistete laut Lewin nicht nur wenig, sondern auch qualitativ schlechte Arbeit. Das wurde darauf zurückgeführt, dass die Gruppe unter laissez-faire Führung von vorneherein kein Kooperationswillen zeigte, geringe Zufriedenheit kommunizierte und allgemein gelangweilt und aggressives Verhalten demonstrierte.      

Es stellt sich also nun die Frage: Inwiefern kann man dieses Ergebnis auf die heutige Anwendung der laissez-faire Führung im Unternehmen übertragen? Ist der laissez-faire Ansatz immer mit den vorgenannten Resultaten in Verbindung zu setzen oder spielen auch andere Faktoren eine Rolle?

Der laissez-faire Führungsstil in der Praxis

Um diese Fragen zu beantworten, muss man zunächst allgemein festlegen, welche Hauptelemente den laissez-faire Führungsstil definieren und wie diese in den Arbeitsalltag integriert werden können. 

Im Planungsprozess

Der laissez-faire Führungsstil zeichnet sich dadurch aus, dass Vorgesetzte oder Gruppenleiter keinerlei Vorgaben bezüglich des Arbeitsvorgangs festlegen. Im oben genannten Experiment wurde den Teilnehmern völlige Entscheidungsfreiheit bezüglich der Methodik und Ausübung ihrer Tätigkeit überlassen, indem der Gruppenleiter sich komplett aus dem Prozess heraushielt und lediglich den Vorgang beobachtete. Im Arbeitsleben wäre das beispielsweise vergleichbar mit einem Arbeitsplatz in dem keine konkreten Quartalsziele oder Prozessplanungen vorgegeben werden, sondern die Mitarbeiter gemeinsam und spontan auf Ereignisse reagieren. 

Während dieser Ansatz im Experiment von Lewin Langeweile und sogar Aggression bei manchen Teilnehmern hervorrief, ist dies im Arbeitsleben nicht notwendigerweise der Fall. Man muss in diesem Zusammenhang jedoch auch bedenken, dass der laissez-faire Führungsstil im Unternehmen keine komplette Abwesenheit jeglicher Planung bedeuten muss, sondern nur die Reduzierung von Planungsprozessen auf ein Level, das die Eigenständigkeit und Selbstkontrolle der Mitarbeiter nicht beeinträchtigt. Vor allem viele Start Ups oder Unternehmen in der kreativen Branche profitieren von einer agilen Vorgehensweise, machen diese Agilität sogar zu ihrem Wettbewerbsvorteil. 

Der laissez-faire Führungsstil und die Rolle der Vorgesetzten

Im Experiment von Lewin zeichnet sich der Führungsprozess des Gruppenleiters durch völlige Passivität aus. Es wurden keine Anweisungen gegeben und es gab keinerlei Teilnahme seitens des Gruppenleiters. Das führte bei den Teilnehmern zu allgemeiner Lustlosigkeit und Ablenkung, bis hin zu dem Punkt, an dem die vorgesehene Tätigkeit gar nicht mehr ausgeführt wurde. 

Im laissez-faire geführten Unternehmen ist die Rolle des Vorgesetzten, wenn es denn überhaupt einen gibt, ebenfalls extrem passiv. Das kann einige ernstzunehmende Probleme aufwerfen, nicht zuletzt das Problem der fehlenden Motivation und Orientierungslosigkeit bei den Mitarbeitern. Sind jedoch die Mitarbeiter von vorneherein intrinsisch motiviert und bereits so kompetent in ihrem Aufgabenbereich, dass sie keine Anweisungen mehr benötigen, kann das Fehlen einer Führungsperson, bzw. dessen Passivität, sich positiv auf die Produktivität auswirken. Der völlige Entscheidungsfreiraum erlaubt es den Mitarbeitern in so einem Fall ihr volles Potential auszuschöpfen und womöglich innovative Lösungen zu kreieren.  

Führung ohne Feedback

Wie auch im Lewin’schen Experiment, fehlt beim laissez-faire Führungsstil im Unternehmen jegliche Form des Feedbacks. Das Resultat ist deshalb die eben schon genannte fehlende Motivation bei den Mitarbeitern, da diese für ihre Arbeitsleistung keinerlei Anerkennung erfahren. In vielen Fällen kann eine laissez-faire Kultur also zu einem Verlust von Eigeninitiative führen. 

Dieser Prozess setzt sich dann mit der Zeit in der Unternehmensstruktur fest. In anderen Worten: Mitarbeiter machen nur noch das, wofür sie bezahlt werden, was die Produktivität innerhalb des Unternehmens erheblich sinken lässt. Es liegt also in den Händen der Mitarbeiter selbst, sich Feedback von anderen geben zu lassen, wenn sie es denn benötigen, um motiviert zu bleiben.

Nachteile des laissez-faire Führungsstils

Einige Nachteile des laissez-faire Führungsstils haben wir bereits angesprochen. Die Hauptkritikpunkte werden in diesem Beitrag von Karrierebibel kompakt zusammengefasst:

Viel Freiheit erfordert viel Selbstverantwortung die nicht jede Person innehat. Es besteht also immer die Gefahr, dass manche Mitarbeiter die gebotenen Freiheiten missbrauchen, unproduktiv sind, und somit dem Unternehmen schaden. 

Eine eigenverantwortliche Arbeitsweise kann auch chaotische Zustände hervorrufen, wenn das gemeinsame Ziel aus den Augen verloren wird. 

Es ist typisch für gruppendynamische Prozesse, dass bei größeren Gruppen der Wunsch nach einer Führungsperson zunimmt. Dies kann zur Ausgrenzung einzelner Personen führen und Rivalitäten unter Teammitgliedern begünstigen.

Das Feedback des Vorgesetzten fehlt, Motivation und Leistung lassen nach.

Die hohe Verantwortung nebst eigenständigen Entscheidungen können zur Dauerbelastung und somit Krankheit einzelner Mitarbeiter führen.

Wir geben zu, diese Erkenntnisse werfen ein nicht unbedingt positives Licht auf den laissez-faire Führungsstil. Trotz alledem wird diese Führungsvariante oft und auch erfolgreich implementiert. Wie ist das möglich?     

Das Ausschöpfen der Vorteile des laissez-faire Führungsstils

Viele erfolgreiche Unternehmer, unter anderem Warren Buffet, haben diesen Führungsstil in ihren Unternehmen implementiert und sind damit sehr erfolgreich. Nach eigenen Angaben gewährt Buffet seinen Managern völlige Freiheit und führt sein Unternehmen mit einem „Hands-Off“ Approach. 

Wenn man seinen Mitarbeitern kompletten Freiraum in Bezug auf ihre Arbeit überlässt, signalisiert man damit als Manager vor allem eins: Vollstes Vertrauen. Es liegt aber an einem selbst zu entscheiden, welchen Mitarbeitern man dieses Vertrauen entgegenbringen will. Einer der Hauptgründe warum der laissez-faire Führungsstil im Experiment von Lewin negative Resultate hervorbrachte, war die mangelnde Empfänglichkeit der Jugendlichen für dieses Konzept. Umgibt man sich jedoch mit Menschen die in einem solchen Umfeld ihre Stärken entwickeln können, birgt der laisser-faire Führungsstil nur Vorteile. 

Eine weitere Voraussetzung für die erfolgreiche Implementierung dieses Ansatzes ist das richtige Arbeitsumfeld. Überall dort, wo Kreativität und Innovation gefragt sind, bietet sich der laissez-faire Führungsstil an. Liegt das Hauptaugenmerk nicht auf akkurat ausgefüllten Tabellen und automatisierten Prozessabläufen, kann dieser freie und autonome Führungsstil entscheidende Vorteile für ein Unternehmen mit sich bringen. Freies und selbstbestimmtes Arbeiten ermöglicht es den Mitarbeitern ihre persönlichen Stärken einzubringen. Durch die hohe Verantwortung die ihnen übertragen wird, steigert sich zudem ihre Motivation. Das hohe Maß an Selbstbestimmtheit vereinfacht außerdem das Erarbeiten effektiver Lösungen. 

Die erfolgreiche Umsetzung dieses Prinzips setzt also drei Sachen voraus: Vollstes Vertrauen vom Vorgesetzten gegenüber den Mitarbeitern, ein innovatives und/oder kreatives Arbeitsumfeld, und Mitarbeiter, die mit einer solchen Freiheit umgehen können.

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