Wie Snapchat der Marktforschung einen Weg aus der Krise weisen kann

von Daniel Hannig

Der Marktforscher von heute ist ein mürrischer Zeitgenosse. Tiefe Sorgenfalten zeichnen seine Stirn, hinter der sich ein pessimistischer Blick auf die Zukunft verbirgt. Wie viele seiner Kolleginnen und Kollegen geht er davon aus, dass die Qualität seiner Arbeit unter immer schlechteren Datensamples leiden wird, entgegen klangvoller Versprechungen der Big Data und Automation-Enthusiasten.

Doch schrecken ihn nicht nur die hohen Anforderungen, welche die wachsenden Datenmengen und -quellen an seinesgleichen stellen. “The real existential threat to our industry is neither automation nor competing methodologies: it’s the future of research participation.“  – GRIT-Report 2016. Er hat vor allem Angst vor den vielbeschworenen Millennials. Wie nur soll er mit diesen jungen, schnelllebigen und mobil kommunizierenden Menschen in Kontakt treten? Immerhin stellen sie für die meisten Unternehmen deren wichtigste Zielgruppe dar. Und wie soll er anschließend ihre Aufmerksamkeit gewinnen und sie motivieren, damit er neue Erkenntnisse gewinnen kann? Hier befürchtet unser Marktforscher eine große Krise.

Apps und Channels verändern das herkömmliche Web nachhaltig

Der Großteil unserer Internetnutzung funktioniert heute mobil. Dabei zeichnet sich schon seit einigen Jahren ein Trend ab, der weg führt vom klassischen surfen zuhause. Smartphone-Apps ergänzen den normalen Browser und bieten den Nutzern persönlichere Inhalte, einen eigenen Channel, der gezielt für sie bereitgestellt wird. Der Journalist John Herrmann sieht hier eine Annäherung des Internet an die TV-Industrie

Ein Beispiel für die mobile und personalisierte Interneterfahrung sind die Instant Articles von Facebook. Mit ihnen können Unternehmen die Inhalte ihrer eigenen Website an einen schnellen und interaktiven Newsfeed übergeben. Zudem wird ermöglicht, eigenständig begleitende Werbung rund um die veröffentlichen Inhalte zu schalten. So wird effektives Targeting auf ein neues Level gehoben.

Wir befinden uns also in einer Phase der Internetnutzung, die sich auszeichnet durch:

  • Schnelligkeit und Mobilität. Potenzielle Kunden können überall und in Echtzeit angesprochen werden.
  • Personalisierung. Nutzern werden genau die Inhalte bereitgestellt, die ihren Vorlieben entsprechen.
  • Multimedialität. Die neuen Channels verbinden Sprache, Bilder, Videos und interaktive Elemente.

Diese Faktoren beeinflussen nicht nur die Mediennutzung und unser Konsumverhalten. Sie haben auch starke Auswirkungen auf die Art und Weise, wie wir kommunizieren.

Whatsapp, Snapchat und Co. verändern die Kundenkommunikation 

Whatsapp gehört längst auch in Deutschland zum medialen Standardrepertoire. Die Zahl der per Whatsapp verschickten Nachrichten hat sich in den Jahren 2011 bis 2015 nahezu verhundertfacht. Ende 2015 verschickten die Deutschen fast 670 Millionen Messages pro Tag – im Vergleich zu 40 Millionen SMS. Weltweit kann der Dienst eine Milliarde aktiver Nutzer verzeichnen.

Für sie alle ist Whatsapp eine der bevorzugten Methoden, mit anderen in Kontakt zu treten. Es ermöglicht direkten und unkomplizierten Austausch und kommt den inzwischen vorherrschenden Gewohnheiten entgegen. Schnelle Reaktionen sind ein Muss. Nur Unternehmen, die sich jederzeit mobil erreichbar präsentieren, erscheinen zeitgemäß und attraktiv. Aus diesem Grund setzen sie Whatsapp mehr und mehr im Kundensupport ein.Noch einen Schritt weiter gehen manche Unternehmen mit Snapchat, um die Millennials zu erreichen, denn im Vergleich mit Whatsapp, Facebook oder Twitter sind die Snapchat-User besonders jung. Laut Statista fallen über 50% in die Altersgruppe der 16- bis 24-jährigen. Der Service bringt es auf 150 Millionen täglich aktive Nutzer, sie betrachten 10 Milliarden sogenannte „Snaps“ – ebenfalls pro Tag. Daher hat sich die Plattform längst für Marketing-Maßnahmen geöffnet, auch in Deutschland. Dabei spielt vor allem der hohe Grad an Interaktivität den Marketing-Strategen in die Hände. Snapchat-Kampagnen bringen ihre Gamification-Elemente von Haus aus mit und wirken sich daher positiv auf die Bindung junger Kunden aus. Snapchat bedeutet Authentizität für Marken, denn die Konsumenten können auf Unternehmensinhalte so reagieren, wie sie es für richtig halten. Das kommt gut an.

Customer Insights dank Snapchat 

An dieser Stelle kann unser beispielhafter Marktforscher, nennen wir ihn Thorsten, neue Hoffnung schöpfen. Indem sich die Marktforschung an Apps wie Snapchat orientiert, kann sie zu neuen Wegen finden, die aus der Engagement-Krise führen. Thorsten bietet sich die Chance, über die bisherigen Ansätze hinaus zu gehen und tiefe Einblicke in das Leben seiner potenziellen Unternehmenskunden zu gewinnen. Es gibt bereits gute Beispiele, wie das aussehen kann._“I also believe the poor user experiences with market research are starting to contrast against the unique and engaging experiences created by innovators who’ve been unafraid to embrace change and drive innovation in the industry.” – Adriana Rocha, CEO von eCGlobal Solutions. _Die Kosmetik- beziehungsweise Bekleidungsmarken Birchbox und Urban Decay Cosmetics verwenden Snapchat für sogenannte “screenshot surveys”. Ihren Followern stellen sie zunächst Fragen wie: Welchen Lippenstift bevorzugst Du? Was gefällt Dir besser – Schnittmuster A oder B? Es werden einige Antwortoptionen gegeben und die Nutzer treffen per Screenshot ihre Wahl. So erhalten diese Firmen Angaben darüber, wie viele Leute den Inhalt gesehen haben, wie viele teilgenommen haben und welche Option sich im Votum durchsetzen konnte. Sie erreichen schnell konkrete Resultate, ohne aufwändige Methoden wie Fokusgruppen-Interviews.

Ein anderes Mal fordern sie ihre Kunden auf, einen Snap von sich mit einem ihrer Produkte zu erstellen und zu kommentieren. Das liefert neue Anregungen für Design-Ideen. Bei Birchbox teste man kürzlich die Chat- und Videofunktionen von Snapchat. Die Fans der Marke wurden durch eine Snapchat Story dazu aufgerufen, das Unternehmen anzurufen und über alle möglichen Themen zu sprechen. So will man bei Birchbox noch mehr über die Erwartungen der eigenen Kunden lernen und sich deren Kreativität zunutze machen.

Der Weg aus der Krise 

Diese Beispiele zeigen nicht nur, was Unternehmen konkret dank Snapchat über das Konsumverhalten ihrer Follower lernen können. Sie machen vor allem klar, wie zeitgemäße Marktforschung gestaltet werden muss, wenn sie die Menschen erreichen will. Das angestaubte Konzept traditioneller, umfangreicher Fragebögen ist überholt, auch online. Doch in Anlehnung an Kanäle wie Snapchat können Marktforscherinnen und Marktforscher wie Thorsten Strategien entwickeln, mit denen sie authentische Rückmeldungen von ihren Kunden erhalten. 

Marktforschung muss persönlich gestaltet sein und echte Interaktion bieten, um relevant zu bleiben. Sie muss sich die technischen Möglichkeiten zunutze machen, um die Einstellungen und Motive ihrer Kunden besser zu verstehen, etwa durch Apps, durch die Feedback per Smartphone eingeholt werden kann. Wenn unser Thorsten Entwicklungen wie diese nicht verpasst, können sich schon bald Lachfalten auf seinem Gesicht breitmachen.

Wie schätzen Sie den Wert von Snapchat für Ihr Unternehmen und Ihre Marktforschung ein? Verwenden Sie ähnliche Apps bereits, um mit Kunden in Kontakt zu treten? Wir freuen uns über Diskussionsbeiträge zu diesem Thema! 

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